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Germanistik, Philosophie(Aufklärung, Phänomenologie, Logik), Biologie, Musik und Kunst

Bei Bingen: aus La Roches Reisebeschreibung

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Sophie von La Roche 1730-1807

 

Sophie von La Roche: Tagebuch einer Reise durch Holland und England von der Verfasserin von Rosaliens Briefen. Offenbach am Main 1788.

 

Die Städtchen und Dörfer, welche wir noch trafen, müssen ehmas besser gestanden seyn und eine gute Rolle gespielt haben; sie sind alle mit Wällen und Graben umfaßt. Bei den meisten sieht man auf erhöhten Plätzen theils noch setehende, theils zerstörte alte adeliche Burgen, und die Wälle dieser Ortschaften sind dicht mit Rüsterbäumen besetzt, zwischen denen ein Spaziergang um die ganze Standt führt. Alle, auch die in der Ebene liegenden Dörfer, sind mit so vielen Reihen dieser Bäume umpflanzt, die sie wie hohe grüne Mauer umfassen, so daß man kein Haus, und bei vielen nicht einmal die Thurnspitze sieht. Am Ende kamen wir, durch einen mit vielem Fleiß in eine Chaussee verwandelten Hohlweg, die Anhöhe hinunter gegen das Nohthal, welches wie ein weit ausgebreiteter Garten erscheint, in dem die reiche Bewohner sich Landhäuser, und die Ackerleute kleine artige Dörfer erbauten. Zur Linken in dem obern Thal bemerkt man die ausgezeichnete Ruinen auf dem Berg Rheingrafenstein, die Thürne von Creuzenach, einen Theil des Donnersbergs, und die sich längs der Roh gegen den Rhein ziehende Hügel. Rechter Hand die Gebirge des Rheingau; das Schloß Johannisberg jenseits des Flusses; diesseits die auf einem einzeln freundlich erhabenen Berg liegende Kirche des heiligen Rochus; gegenüber auf der Höhe, wo die Roh in den Rhein fällt, die Ruinen des Klosters vom heiligen Rupert, Pfalzgrafen bei Rhein, welches 1148 von der heiligen ungelehrten Hildegardis erbauet wurde, und worinn sie bis in ihr 83stes Jahr als Aebtissin lebte. Die Geschichte dieser Frau verdiente wohl ganz bekannt zu seyn. Sie wurde in dem Alter von 8 Jahren Nonne, sturdierte Theologie und Naturgeschichte, schrieb sehr vieles in lateinischer Sprache, unter andern auch das Leben ihres Klosterpatrons, des heiligen Rupert. – Sie wirdmete ihren damals seltenen Geist dem Gottesdienst, erhielt die Achtung zweier Päbste, und den Tizel einer Heiligen.

              Der Abend war schön; wir giengen noch an den Rhein spazieren, um die Zurückkunft des Herrn Vicedoms zu erwarten, welchen wir nicht zu Hause trafen.

 

 

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Hildegard von Bingen 1098-1179